Georg Friedrich Händel hat in der zweiten Hälfte seiner kompositorischen Schaffenszeit zehn Oratorien nach Geschehnissen des Alten Testaments geschrieben, das zweite davon war "Israel in Ägypten" aus dem Jahr 1738, ein Werk, das voll und ganz auf den Chor angelegt ist, Rezitative und Arien stehen eher im Hintergrund.
"Israel in Ägypten" ist ein außergewöhnliches Werk und stellt an die Ausführenden auch außergewöhnliche Anforderungen. Das Volk Israel, also der Chor, ist ganz einbezogen in das dramatische Geschehen von der harten Knechtschaft in Ägypten bis hin zum Auszug aus dem Land und dem glücklichen Durchgang durch die geteilten Fluten des Roten Meeres, und es ist gleichzeitig Zeuge der vielen Plagen, die Gott Jehova über das Land kommen lässt zur Strafe für die Unbeugsamkeit des Pharaos: Blutige Gewässer, Heuschrecken und Frösche, Unwetter und Hagelstürme, Finsternis, Tod der Erstgeborenen. Der letzte Teil dann als Lobgesang des Volkes über den errungenen Sieg und den geglückten Exodus, alles zusammengefasst in 19 Chören, von denen 13 als Doppelchöre, also achtstimmig gesungen werden, zum Teil fugiert und in komplizierter Gliederung.
Mehr noch als die kompositorische Anlage jedoch beeindruckt die musikalische Umsetzung und Ausdeutung des kräftigen, farbigen Textes: Gleich vom Beginn des Exodus an, vom großen Doppelchor des Leidens in der Knechtschaft, liegt eine beinahe unheimliche Spannung über dem Werk, die sich dann steigert in der Beschreibung der Plagen: Hagelsturm mit Paukendonner, düstere Klangfarben der Finsternis, die Invasion von Fliegen, Mücken und Heuschrecken mit flirrenden Streichern und achtstimmigem Doppelchor, die Pausen bei der Austrocknung des Meers, der grandiose Jubel über den Sieg. Der Komponist spart nicht an musikalischen Bildern, kraftvollen Effekten und barocker Lautmalerei.
Händel komponierte das monumentale Stück im England des 18. Jahrhunderts nicht für aristokratische Kreise, sondern als Öffentlichkeitsmusik. Das Werk scheint mit seinem Affektausdruck auf ein größeres Publikum geradezu hinkomponiert worden zu sein und entfaltet auch heute noch unmittelbar seine sinnliche musikalische Wirkung.
Berthold Höps