Amberger Zeitung 07.11.06

Mehr über das Polen von heute erfahren
Geschichtslehrer des GMG bilden sich in Krakau und Auschwitz weiter

Schüleraustausch in Vorbereitung

Das war nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, das war auch eine Reise in die Zukunft", so lautet das Fazit, das Geschichtslehrer des Gregor-Mendel-Gymnasiums nach ihrer viereinhalbtägigen schulinternen Lehrerfortbildung (SchiLF) Anfang Oktober in Krakau ziehen. Mehrere und recht unterschiedliche Themenbereiche standen dort vor Ort im Mittelpunkt ihres Interesses. So bildeten das Leben der polnischen Juden vor und während des Zweiten Weltkriegs und unter den Kommunisten einen und die Opposition der Solidarnosc einen zweiten Schwerpunkt. Der dritte war ein Besuch der drei Konzentrationslager von Auschwitz und dazu des heutigen Oswiecim auf Einladung des Oberbürgermeisters dieser Stadt. Gespräche mit polnischen Journalisten und Politikern waren dabei Mittel und Zweck.


Drei Amberger Geschichtslehrer in Oswiecim: Siegfried Rittner (links), Christian Fejy (Zweiter von rechts) und Michael Schlereth (rechts) zu Gast bei Stadtpräsident Janusz Marszalek

Krakau, Kulturhauptstadt in Europas Mitte

Den Gang durch die Geschichte Krakaus moderierte und kommentierte Dr. Agnieszka Sabor, Kulturredakteurin der linkskatholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny (Allgemeine Wochenzeitung). Dieses Blatt zählte u.a. den späteren Papst Johannes Paul II. in seiner Zeit als Erzbischof von Krakau zu seinen Mitarbeitern. Für ihre Verdienste um die deutsch-polnische Aussöhnung wurde Tygodnik Powszechny im Oktober 2005 mit dem DIALOG-Preis des Bundesverbandes deutsch-polnischer Gesellschaften ausgezeichnet. Frau Sabors Themenschwerpunkte sind die (Kunst-)Geschichte und das Judentum Krakaus.

Agnieszka Sabor machte deutlich, dass Krakau in seiner Geschichte Schmelztiegel der Kulturen war: "Hier haben sich Polen angesiedelt, Deutsche hinzugesellt; verwüstet wurde das Land von Schweden und Tartaren. Und am Schluss kamen noch die Deutschen und Russen, die auch nicht die Absicht hatten, das Land so schnell wieder zu verlassen." Und auch die Italiener haben ihre Spuren, im Stadtbild, hinterlassen. Sie brachten früher die Renaissance und den Barock an die Weichsel, in die geografische Mitte Europas. Heute seien es Pizza, Wein und der fließende Übergang von Pierogi, den polnischen Teigtaschen, zu den Ravioli.

Veit Stoß oder Wit Stwosz?

Dass Polen in kommunistischer Zeit Schwierigkeiten mit seinen deutschen Wurzeln hatte, machte Agnieszka Sabor am Beispiel des Bildhauers Veit Stoß deutlich: Dieser wurde um 1447 in Horb am Neckar geboren, ging nach Nürnberg und kam in jungen Jahren in das vom Handel reiche Krakau. Dort avancierte er zum besten und auch bestbezahlten Künstler der Stadt. "Für den Marienaltar zahlte die Stadt Krakau mehr als einen Jahresetat an Veit Stoß", erläuterte Frau Sabor. Aus familiären Gründen war Stoß später nach Süddeutschland (Nürnberg) zurückgekehrt.
Mit dem Hauptaltar in der Marienkirche schuf der Künstler eines der größten und komplexesten Werke seiner Zeit. "Im Laufe der Jahrhunderte wurde Stoß jedoch vergessen. Und als man sich seiner erinnerte, wollte man nicht wahrhaben, dass er Deutscher war." Daher habe man seinen Namen polonisiert: "Aus Veit Stoß wurde Wit Stwosz. Das klingt zwar auf Polnisch auch nicht gut, aber mit dem polnisch klingenden Namen hatte man Stoß für die polnische Geschichte vereinnahmt." Erst seit dem Untergang des Kommunismus sei man offen und selbstbewusst genug, die historische Wahrheit zu akzeptieren: "Veit Stoß heißt wieder Veit Stoß. Es war Deutscher und schuf sein größtes Werk für Polen", stellte Agnieszka Sabor klar.

Als überaus beeindruckend bezeichnete OStR Feja, Leiter der Fachschaft Geschichte und Organisator der Fortbildungsveranstaltung, die Entwicklung Polens in den letzten Jahren. Er hatte Krakau das erste Mal im Winter 1982, also ein paar Wochen nach der Aufhebung des Kriegsrechtes unter dem Staatsratvorsitzenden Wojciech Jaruzelski, besucht. "Damals war oder wirkte alles grau in grau. Das Vorurteil ?polnische Wirtschaft' sah man überall bestätigt." Jetzt sei alles ganz anders: "Ich habe Krakau als eine traditionsreiche Stadt mit einer großen Weltoffenheit erlebt. Modernität und eine große Vergangenheit sind hier eine geglückte Symbiose eingegangen."

Kazimierz: Von der Judenstadt zum In-Viertel

Besonders beeindruckt hat der Rundgang durch Kasimierz, ursprünglich eine jüdisch dominierte eigene Stadt vor den Toren des alten Krakau. Dort wo sich immer noch eine ehemalige Synagoge an die andere reiht, ist heute ein Zentrum des kulturellen Lebens der Weichsel-Stadt: Galerien für moderne Kunst gibt es hier ebenso wie viele Flohmärkte mit Antiquitäten oder Jazz-Clubs, die besonders am Samstagabend von jungen Leuten, meist Studenten, bevölkert werden. Krakau hat ca. 750 000 Einwohner; davon studieren etwa 150 000 an der Universität und den Hochschulen.

In Kazimierz wird auch ein in der Marktwirtschaft übliches Phänomen sichtbar: der geradezu astronomische Anstieg der Immobilienpreise. Kleine Wohnungen, vor Jahren noch eher bewohnt von sozialen Randgruppen der Bevölkerung, werden jetzt renoviert und einer anderen Klientel zu einem Quadratmeterpreis angeboten, der durchaus mit dem westdeutscher Großstädte vergleichbar ist. Kazimierz ist das In-Viertel Krakaus und die Nachfrage nach Wohnraum ist deshalb unvermindert groß.

Nova Huta: Lenin und die "Arche"

Niedrige Quadratmeterpreise, viel Grün und eine immer weiter zurückgehende Einwohnerzahl kennzeichnen dagegen heute Nova Huta (Neue Hütte), eine stalinistische, auf dem Reißbrett entworfene Stadt: Die völlig unsinnige Entscheidung, in unmittelbarer Nähe von Krakau inmitten blühender Felder ein Eisenhüttenkombinat aus dem Boden zu stampfen, fiel im Jahre 1949. Der um das Kombinat herum wachsenden Stadt sozialistischer Prägung war die Aufgabe zugedacht, einen sozialistischen Gegenpol zu der "stockkonservativen und miefig-kleinbürgerlichen" Bevölkerung Krakaus, in dem auch viele Gutsherren Zuflucht gefunden hatten, zu bilden. Ursprünglich sollte es deshalb in der Stadt, die immer noch 250 000 Menschen Wohnraum bietet, auch keine Kirche geben. Doch bereits die ersten Arbeiter, meist Bauern, die ihre kleine Landwirtschaft im Zuge der Schaffung von Produktionsgenossenschaften verloren hatten, organisierten das Material für den Bau einer neuen Kirche. Und es entstand die Kirche "Arche des Herrn", ein Bau, der der berühmten Le-Corbusier-Kirche in Ronchamp nachempfunden wurde, ein großartiger Kirchenbau und ein Symbol für katholische Opposition.

Heute sind die Hochöfen von Nova Huta erkaltet, das Werksgelände ist aufgeteilt und an Unternehmer der unterschiedlichsten Gewerbe vermietet. Verwundert betrachteten die Amberger Lehrer zwei Schilder am ehemaligen Verwaltungsgebäude der Hütte: "Solidarnosc" und "Solidarnosc 80" haben dort ihre Niederlassung. "Ein typischer Fall von Zersplitterung", erklärte Frau Sabor. Die alte Solidarnosc hat sich 1980 geteilt in die Fundamentalisten, die Vertreter der "Solidarnosc 80", und die Realpolitiker von "Solidarnosc". Heute spiele weder die eine noch die andere Gruppe eine Rolle in der Politik: "Die Weltgeschichte ist an den Revolutionären vorbeigezogen." Und insgeheim bedauerten die Kommunalpolitiker von Nova Huta bereits ihren beherzten Entschluss, den monumentalen Lenin, der auf dem Zentralplatz gestanden hatte, an einen schwedischen Stahlunternehmer verkauft zu haben. Möglicherweise wäre er eine Attraktion des postkommunistischen Tourismus geworden.

Geschichts- und Vergangenheitsbewältigung in Auschwitz

"Der Tourismus ist für uns sowohl Fluch als auch Segen", erklärt Janusz Marszalek, Stadtpräsident (=Oberbürgermeister) von Oswiecim, der Stadt, die vielen leider nur unter dem deutschen Namen Auschwitz bekannt sei. Einerseits brächten die gut
1 Mio. Touristen, die vor allem die Konzentrationslager Auschwitz I ("Stammlager") und Birkenau besuchen, Aufmerksamkeit und auch Geld in die Kassen Oswiecims; andererseits werde dadurch die Infrastruktur der Stadt überlastet, ohne dass es genügend Unterstützung von den übergeordneten Behörden gebe. Außerdem sei auch der Name "Auschwitz" ein Hemmnis: "Welches Großunternehmen will sich schon in Auschwitz ansiedeln? Nennen Sie mir eines! Ich kenne keines." Zu sehr sei der Name irrational belastet.

Janusz Marszalek, der im letzten Jahr am GMG Gesprächspartner für Oberstufenschüler gewesen war, empfing die Lehrergruppe überaus herzlich. Sein Mitarbeiter Woitek Parcer führte die Gruppe nicht nur persönlich durch das Lager Birkenau, er zeigte den Lehrern auch das riesige Gelände der Buna-Werke, die u.a. von den KZ-Insassen errichtet wurden, und das des weniger bekannten Lagers Auschwitz III, Monowitz, das inzwischen teilweise mit Einfamilienhäusern bebaut ist. Nur einige wenige Reste von Bunkern deuten noch auch die frühere Nutzung hin. "Wir wollten ja Hinweisschilder aufstellen, aber die Anwohner sind dagegen. Sie fürchten um ihre Ruhe und darum, dass Wissenschaftlern auf ihren Grundstücken nach Überresten zu graben beginnen."

Nach dem Gespräch über die aktuelle polnische Außenpolitik und die Probleme einer modernen Stadtverwaltung lud Janusz Marszalek seine Gäste noch zu einem Konzert in die Salesianer-Kirche von Oswiecim ein. Dort trat auf Vermittlung des Goethe-Instituts der Männerchor "arcanum musicae" aus Dresden auf. Besonders mit den Sätzen von Penderecki. Phillips und Krieger eroberten sie die Herzen der Zuhörer, die den Auftritt mit Standing Ovations belohnten.

Breslau: Amtseinführung im Talar

Doch dies sollten noch nicht alle Höhepunkte der Reise gewesen sein. Ein weiterer stellte sich eher zufällig auf der Rückreise über Breslau ein. Als touristisches Highlight gilt dort die barocke Aula Leopoldina der ehemals preußischen Universität. Dazu StR Schlereth: "Unten am Eingang sahen wir natürlich das Schild, dass die Aula wegen einer Veranstaltung geschlossen ist. Das machte uns erst recht neugierig." Und so gerieten die Lehrer in eine Veranstaltung, wie sie vielleicht dem Anlass nach an jeder deutschen Universität auch stattfinden könnte. Was sie hier jedoch hier erlebten, erinnerte sie an eine vergangene Welt: Die Professoren der Universität waren in der Aula der Universität zusammengekommen, um dort die Inauguration (Amtseinführung) neuer Kollegen vorzunehmen. Geordnet nach Fakultäten, gekleidet mit unterschiedlichen, farblich abgesetzten Talaren, gaben sie ein farbenfrohes und dennoch würdevolles Bild ab. Hier wurde deutlich, dass Zeremonie und gelebte Tradition zusätzliche Wertschätzung zum Ausdruck bringen können. Entsprechend eindrucksvoll war auch der ritualisierte Auszug der Professoren nach einem gemeinsamen "Gaudeamus igitur".

"Polen zeigte sich uns als ein junges und dynamisches Land", sagte StD Rittner nach der Rückkehr der kleinen Lehrergruppe. So manche tradierte Vorstellung habe sich als Klischee, als Vorurteil erwiesen. "Polen ist ein Land im Umbruch: Europäische Mitte wird bald nicht mehr nur geografisch zu verstehen sein. Die jungen Leute, mit denen wir gesprochen haben, waren durchweg kultiviert und motiviert. Unseren Schülern würde daher ein Sich-Austauschen mit einem solchen Polen unbedingt Vorteile bringen."

 
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Letztes Update: 07.11.2006

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