2. Anwendungen in der Mathematik

2.1 Das regelmäßige Fünf- und Zehneck

Am regulären Fünf- und Zehneck tritt der Goldene Schnitt besonders eindrucksvoll in Erscheinung.

Zu Beginn möchte ich näher auf das Bestimmungsdreieck eines regelmäßigen Zehnecks eingehen, das eine Art "Schlüsselfigur" für das reguläre Zehn- und Fünfeck darstellt. Der Mittelpunktswinkel des gleichschenkligen D ABM beträgt  = 36°, die Basiswinkel folglich je  = 72°. Halbiert man einen Basis-winkel, so erhält man, wie in der Zeichnung, insgesamt drei gleichschenklige Dreiecke D ABM, D ACM und D ABC.


 

--->  ist die mittlere Proportionale zu  und , C teilt  stetig.

Das Dreieck D ABC wird als "spitzes goldenes Dreieck" bezeichnet, da sich - wie eben bewiesen - die Länge je eines Schenkels zur Länge der Basis im Goldenen Schnitt verhält. Das Dreieck D ACM wird ebenfalls "goldenes Dreieck" genannt, jedoch mit dem Vorsatz "stumpfes".

Da also s10² = r (r- s10) gilt, heißt das in anderen Worten: Die Seite eines regelmäßigen Zehnecks s10 ist der längere Abschnitt des stetig geteilten Umkreisradius r.
Die Konstruktion eines regelmäßigen Zehnecks fällt nicht mehr schwer; der konstruierbare längere Abschnitt wird 10mal am Umfang abgetragen. (siehe nebenstehende Zeichnung)

 

Für ein regelmäßiges Fünfeck kann die Konstruktion auf die gleiche Weise erfolgen, außer dass man nur jede zweite Ecke verbindet. Allerdings kann ein Fünfeck ABCDE auch unmittelbar konstruiert werden, indem man an dem gegebenen Umkreisradius r = 5mal hintereinander einen Winkel von je 72° abträgt. Diesen Winkel erhält man an der Basis eines "spitzen goldenen Dreiecks" D MAB mit = F *, das zu konstruieren keine Schwierigkeiten mehr bereiten dürfte (vgl. 1.4).

Ist eine Seite s5 gegeben, so erfolgt die Konstruktion ebenfalls unter Zuhilfenahme eines "spitzen goldenen Dreieckes":

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich im regelmäßigen Fünfeck die Diagonalen zu den Seiten im Goldenen Schnitt verhalten ("spitzes goldenes Dreieck"): d = F * s5 {1}. Daraus folgt, dass sich zwei Diagonalen im Goldenen Schnitt teilen {2}. Beweis: Der Winkel BAD ist gleich dem Nebenwinkel von CBA (Innenwinkel des Fünfecks=108°), nämlich 72°(=180°-108°). Die beiden sind Stufenwinkel; daraus ergibt sich, dass die Diagonale AD parallel zu BC sein muss. Wegen {1} und =, teilt der Diagonalenschnittpunkt S die Diagonalen AD und CE stetig. (siehe vorangehende Zeichnung).

 

2.2 Platonische Körper: das Ikosaeder

Unter regulären oder platonischen Körpern versteht man konvexe Körper, deren Oberflächen aus kongruenten, gleichseitigen Vielecken bestehen und in deren Ecken stets gleich viele Flächen zusammentreffen. Platonische Körper sind Tetraeder, Oktaeder, Würfel, Dodekaeder und Ikosaeder.

Letztgenanntes besteht aus 20 gleichseitigen Dreiecken (Abwicklung)  und auf den ersten Blick ist kein direkter Zusammenhang mit dem Goldenen Schnitt erkennbar.

An einer Ecke eines Ikosaeders kommen 5 gleichseitige Dreiecke zusammen; diejenigen Seiten dieser Dreiecke, die nicht in die Ecke einmünden, bilden zusammen ein regelmäßiges Fünfeck. Je zwei gegenüberliegende Kanten des Ikosaeders gehören zu einem "goldenen Rechteck", da die längere Seite die Diagonale eines jener Fünfecke darstellt. (Die Diagonale ist bekanntlich F *s5.) Das "Gerüst" eines Ikosaeders besteht demnach aus 3 zueinander senkrechten goldenen Rechtecken . Da das Dodekaeder (= aus regelmäßigen Fünfecken zusammengesetzter Zwölfflächner) und das Ikosaeder dual zueinander sind, liegt nahe, dass auch das Dodekaeder in Beziehung zum Goldenen Schnitt stehen muss.

 

2.3 Der goldene Zirkel

Der goldene Zirkel ist eine Anwendung, die auch außerhalb der Mathematik, z. B. im Zimmerhandwerk, praktisch eingesetzt wurde. Er ist ein Instrument, das befähigt, den Goldenen Schnitt zu bestimmen oder nachzuprüfen. Die einfachste Variante stellt der Reduktionszirkel aus der Römerzeit dar. Bedeutend bequemer ist der goldene Zirkel von Goeringer (+ 1893). Schemazeichung:

 PSQM ist ein Parallelogramm. Eine weitere bedeutende Verbesserung stellt der goldene-Schnitt-Zirkel von Rudolf Engel-Hardt dar, denn bei seinem Modell ist die innere Zirkelspitze nicht gleichzeitig das Scharnier.

 

2.4 Die Fibonacci-Zahlen

2.4.1 Linearisierung von Potenzen des Goldenen Schnitts

Für F gilt die Beziehung F ² = F + 1 (vgl. 1.3 d)), d. h. eine beliebige Potenz von F kann in einen linearen Ausdruck umgewandelt werden. Beispiel: F ³ = F (F + 1) = F ² + F = (F + 1) + F = 2F + 1

Multipliziert man die eingangs genannte Gleichung mit F n, so erhält man: F n * F ² = F n (F + 1)

    <---> F 2+n = F n+1 + F n

In gleicher Weise gilt diese Beziehung auch für den negativen Kehrwert von F : ()2+n = ()n+1 + ()n

Reiht man nun die Potenzen auf, so erhält man folgende Tabelle:

 

F 0 = = 1

F 1 = F = F

F 2 = F 1 + F 0 = F + 1

F 3 = F 2 + F 1 = 2 F + 1

F 4 = F 3 + F 2 = 3 F + 2

F 5 = F 4 + F 3 = 5 F + 3

F 6 = F 5 + F 4 = 8 F + 5

F n = F n-1+ F n-2 = an F + an-1

 

Für die Koeffizienten an gilt offensichtlich die Rekursion: an+2 = an+1 + an ; n1, d. h. der Wert eines Glieds a ist die Summe aus den beiden vorhergehenden Zahlen. Die Startwerte sind a1=1 und a2=1. Diese sogenannte Lucas-Folge im speziellen wird nach Fibonacci (= "Filius Bonacci" , Leonardo von Pisa; um 1200) benannt. Die Zahlen der Fibonacci-Folge 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89... können des öfteren in der Natur wiedergefunden werden.

 

2.4.2 Stammbaum einer Drohne

Am Stammbaum einer Drohne (=männliche Biene) möchte ich die streng monoton wachsende Fibonacci-Folge veranschaulichen. Drohnen haben nur ein Elternteil (nämlich eine Königin), während Arbeiterinnen und die Königinnen selbst zwei Elternteile haben.


 

 streng monoton wachsende Fibonacci-Folge

 

2.4.3 Grenzwert des Fibonacci - Quotienten

Betrachtet man den Quotienten , so nähert sich dieser mit wachsendem n immer mehr F an

Beweis:

Stimmt diese Behauptung, so gilt  bzw.  für n® .   Nebenrechnung

()=

da und : ? 

Da 

. . .  

wird mit wachsendem n (hier von rechts nach links) immer kleiner, d.h. die Zahlenfolge xn konvergiert gegen F bzw. 

 

2.5 Goldene Fraktale

Fraktale sind geometrische Figuren, die Selbstähnlichkeit aufweisen. Teilfiguren stellen eine verkleinerte Kopie der Gesamtfigur dar. Abb. X, S. 20 zeigt ein Dreiecksfraktal mit dem Verkleinerungsfaktor f = . Stellt man sich nun vor, den Verkleinerungsfaktor f "schrittchenweise" zu vergrößern, so erhält man genau ein f, für das gilt, dass sich die Äste des Fraktals gerade eben berühren. Die Frage ist nun, wie groß fD={f? 0,5<f<1}für diesen Fall gewählt werden muss.

Zur Lösung betrachtet man nur 2 Äste und nimmt für die Seitenlänge des Ausgangsdreieckes aus Gründen der Einfachheit s0=1 an.

 

1 + f + f² = 2 [f² + f³ + f4 + ...]

1 + f + f² = 2f² [1 + f + f² + f³ + ...]

1 + f + f² = 2f² () () ? 1 + f + f² = 

? 1 + f + f² - f - f² - f³ = 2f² ? 0 = f³ + 2f² - 1

Durch Probieren erhält man -1 als Lösung dieser

kubischen Gleichung. Polynomdivision ergibt :

(f³ + 2f² - 1) : (f + 1) = f² + f - 1 (? f1=-1).

Bei der quadratischen Gleichung handelt es sich offensichtlich um die aus 1.3 bekannte mit a=1. Lösungen sind deshalb f2= und
f3=. Da f1 , f L = 

Der Verkleinerungsfaktor für ein Dreiecksfraktal, das die oben genannten Bedingungen erfüllt, beträgt also die irrationale Zahl .
Aus einleuchtenden Gründen nennt man dieses Fraktal "Goldenes Dreiecksfraktal".

Auf ähnlichem Weg erhält man auch ein "Goldenes Fünfecksfraktal", "goldene" Bäume oder "goldene" Quadratfraktale.
ausgewählte goldene Fraktale angucken
 
 

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