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Von der Heimatlosigkeit des Menschen in der heutigen Zeit

Beeindruckende Theateraufführung an den Dr.Johanna-Decker-Schulen



"Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci!" - Aller Beifall ist dem gewiss, der Heilsames mischte mit Süßem! Diesen bewährten lateinischen Rat befolgte Peter Ringeisen bei der Konzeption seines im Rahmen der Amberger Schultheatertage inszenierten Theaterstückes mit dem Titel "Das kahle Nashorn als Familienbenutzer".

Wer bei diesem Titel auf die Idee kam, dass Nonsens der Sieg des Geistes über die Vernunft ist, hatte sich wie ein wütendes Nashorn meilenweit vergaloppiert. Geboten wurde Hochgeistiges aus den Bereich des Absurden Theaters ebenso wie "gemixte Impressionen" aus dem manchmal ach so absurden Alltag. Die Collage von 26 Szenen, vorwiegend aus Eugene Ionescos "Die Nashörner" und "Die kahle Sängerin", Gesine Danckwarts "Die Arschkarte", Helmut Kraussers "Haltestelle" und Vicco von Bülows Werken, aufgelockert durch drei perfekt arrangierte Tänze der Gruppe von Frau Ringeisen, führte durch Höhen und Tiefen menschlicher Grundsituationen, verdeutlichte die Selbstentfremdung, den Verlust der Lebensperspektive, die Heimatlosigkeit des modernen Menschen und die Schwierigkeit, mit sich selbst ins Reine zu kommen und vor allem mit seinen Mitmenschen sinnvoll zu kommunizieren.

Heilsam und süß

"Heilsames" und "Süßes", vermischt oder im Ansatz getrennt, waren geeignet, dem Zuschauer gemischte Gefühle, Verunsicherung oder Befremden zu vermitteln, krochen unter die Haut, um im nächsten Augenblick wieder spontane Heiterkeit auszulösen. Die Formulierung "Wie unbegreiflich und welch' ein Zusammenspiel!" dominiert den sonderbaren Dialog zwischen dem Ehepaar Mrs. und Mr. Martin in "Die Kahle Sängerin". Die grotesk-burleske Unterhaltung ist geprägt durch unglaubliche Banalitäten und Trivialitäten, die einander völlig entfremdete Ehepartner austauschen, im Stil von zwei Bahnreisenden, die sich zugleich langweilen und gleichzeitig aufeinander neugierig sind. Ihre einzige Gemeinsamkeit besteht aus einem Nebeneinander in der nicht aufzuhebenden Einsamkeit. Komik vermischt sich hier mit Tragik, und die Regieanweisung Ionescos gibt eine schleppende, gleichförmige, leicht singende Tonlage ohne Nuancen vor.

"Wahrlich, welch' ein Zusammenspiel!" bei so schwierigen und sich oft im Kreis drehenden Textpassagen! In souveräner Manier meisterten die Schauspielerinnen solche und ähnlich gelagerte Hürden mit hoher Sprechkultur und sehenswertem gestischen und mimischen Einsatz, der auf unverkennbarer Spielfreude und Spontaneität beruhte. Letzteres gilt für alle Mitwirkenden, aus denen man zahlenmäßig sage und schreibe fünf erste Damenfussballmannschaften rekrutieren hätte können.

Zwei vorrangig "süße" und genüssliche Szenen erreichten die Herzen des Publikums und verbreiteten auf Grund der gelungenen Darbietung große Heiterkeit: "Feierabend" von Loriot und der "Astronaut".
"Hermann, was machst du da?" - "Nichts." Scheinbar der Beginn eines entspannten Gespräches zwischen einem eingespielten Ehepaar nach einem wohlverdienten Feierabend. Weit gefehlt, denn die bügelnde Ehefrau versucht mit allen Überredungskünsten ihren Mann zu längst unterlassenen häuslichen Dienstleistungen zu animieren, was ihr unter dem Applaus besonders des männlichen Publikums perfekt misslingt. Auch in "Astronaut" läuft Grundsätzliches schief, da ein bodenständiger Heizungsmonteur, den der sensationsgierige Reporter in Ermangelung des nicht zur Verfügung stehenden richtigen Astronauten nach seinen Abenteuern in luftigen Höhen befragt, als größte Arbeitshöhe über dem Erdboden nur das dritte Stockwerk anzugeben vermag.

Aber auch die hier nicht erwähnten Szenen wurden von den Zuschauern engagiert mitgetragen und häufig mit Zwischenapplaus bedacht.

Wahre Toleranz

Spielleiter Peter Ringeisen hatte eine schwierige Thematik nicht vordergründig belehrend, sondern einfühlsam und unterhaltsam aufbereitet. Deren Botschaft kam klar herüber: In notwendigen Dingen Einigkeit, in den zweifelhaften Freiheit, in allen Nächstenliebe - das ist wahre Toleranz! In Gesine Danckwarts Stück "Arschkarte" sind die einzelnen Figuren auf der Suche nach einem geeigneten Ansprechpartner, um sich und Erlebtes mitteilen zu können. Eine bittet darum, sie etwas zu fragen, nicht weil sie reden möchte, sondern damit man sieht, wie schweigsam sie ist. Die andere möchte einen Schluss haben und wenn sie keinen bekommt, fängt sie gar nicht erst an. Diese Kritik soll jetzt auf jeden Fall einen Schluss haben: Was wollte man mehr? Äußerst zufriedene Gesichter auf der Bühne und im Zuschauerraum und langanhaltender, berechtigter Schlussapplaus! Außerdem ein Spielleiter, der mit Sicherheit nicht die "Arschkarte" gezogen hat.

Edgar Dietl
Amberger Nachrichten/11. April 2003