"Das ist doch Wahnsinn!"

Spottzwei: Neuauflage des Spontantheater-Festivals im Club Habana geriet zum Fest der Kreativität

Von Jürgen Herda

Amberg. "Das ist doch Wahnsinn, was hier in Amberg alles passiert." Herbert Hottner war auch eine Stunde nach der Kür seines Ensembles Zentral zum Spottzwei-Spontantheater-Sieger noch ganz aus dem Häuschen. "Das Kulturleben wächst und gedeiht." Mit daran "schuld" ist Martin Frey vom Kulturverein, der für die Neuauflage des Festivals nicht nur mehr Teilnehmer gewinnen konnte, sondern im Handstreich den Club Habana mit 200 Zuschauern in einen Hexenkessel verwandelte.

Dabei sein ist alles - die Reaktionen des begeisterten Publikums zeigten, dass diese Floskel nicht nur der fromme Wunsch der Veranstalter war: Selbst Improvisationskünstler Stefan "Newfarmer" Neubauer hatte bei seiner Willy-Astor-Hommage die Lacher auf seiner Seite, als er aus der Not eine Tugend machte und die Gedächtnislücken mit Notizen à la carte füllte.

So ging es auch bei der Bewertung der acht Sponti-Formationen nicht um schnöde Zensuren: Die Jury war sich mit den Zuschauern einig, dass alle Beiträge Spaß machten - und wollte allenfalls die Tagesform, den besseren Zugang zum Thema, ein paar schauspielerische Glanzlichter mit einer größeren Punktezahl belohnen und das knapp folgende Hauptfeld ermuntern, dranzubleiben.

Dennoch: Wie facettenreich das Ensemble Zentral beim Jungfernauftritt das vorgegebene Thema in sein Repertoire übersetzt hat, beeindruckte alle Jury-Mitglieder gleichermaßen. Vom nahe liegenden Wahlkabinen-Report ("Pst, Schatz, was soll ich wählen, ich hab' jetzt alles von oben bis unten durchgelesen, es ist nix dabei") über Insider-Phobien eines Obers ("Kaffee? Was für ein Kaffee? Klein, groß, Espresso, Cappuccino, mit Sahne oder Milchschaum, Latte Macchiato, mit Karamell- oder Vanille-Sirup?") bis zur Qual der Garderobenwahl ("Du ziehst dich aber schon noch um?") überzeugten die Kaffeehaus-Akteure und Aktricen mit pointierter Enthüllung des alltäglichen Wahnsinns.

Hinreißendes Liebesspiel

DJDG-Team 1

Silberwürdig das Team 1 des Dr.-Johanna-Decker-Gymnasiums unter filmender Leitung des Schultheatervordenkers Peter Ringeisen: Den acht Mädels gelang es ähnlich wie dem Winner-Team, ein breites Spektrum an Variationen des Leitmotivs durchzudeklinieren. Der Clou dabei: Eine fiktive TV-Zuschauerin zappte sich durch die Szenen. Das wahllose Neben- und Durcheinander von Fruchtalarm-Werbung, Sturmreportage, Gymnastikübung, Starwars, Western ("Ich glaub, ich bin im falschen Film", entfuhr es Johnny, als sie ein Schwert anstelle eines Colts zog) und dem hinreißenden Liebesspiel der Pinguine karikierte den typischen deutschen Fernsehalltag nah am Kern der Botschaft.

Sie gingen als Favoriten ins Rennen, konnten ihr großes Potenzial aber nicht ganz ausschöpfen: die Steinl-Eleven von Rampenlicht. Gute Einfälle wie die gnadenlose Mannschaftswahl durchs Tipp-Topp, der Streit um die richtige Sportart - gestisch famos in Szene gesetzt - alternierten mit einem etwas unmotiviert inszenierten Konflikt ("Du musst dich entscheiden") und gipfelten in einem Finale furioso mit mitreißendem Blechblas-Zwiefachen ("Wos i ned woaß, mach'd mi ned hoaß, wos i ned kann, macht mi ned an, schau mer mal, dann seng mas scho"). Keine Frage, hier waren Multitalente auf der Bühne, aber sie wirkten auch ein wenig wie Brasilianer in der WM-Vorrunde: Der letzte Biss, mal etwas genial anderes zu probieren, fehlte. Der moderate Punktabzug soll genau dazu Mut machen: zum überraschenden Pass in die Tiefe, ohne die elegante Handschrift zu verleugnen.

"Des war's etz eigentlich"

Passsicher präsentierte sich der Gewinner des Sonderpreises der Jury: Jürgen Siepl - "versteht's ihr mi überhaupt?" - nutzte seine Außenseiterchance mit einigen brillanten Einfällen: "Meine drei Vorgänger haben das Motto irgendwie falsch verstanden - aber Jupp Derwall schreibt man auch anders." Also meisterte Jürgen die Vorgabe mit den Qualen des Auftrittstages: "Des geht los schon in der Früh' am Morgen mit der Wahl, welche Jeans passt am besten zum Arsch." Und endet mit der Frage, in welcher Kneipe die besten Singles zu finden sind: "Im Club Habana - ja, was soll i etz no verzähl'n, des war's etz eigentlich. Weil, wenn i zum Singa ofang..." - Schluss mit der lustigen Qual!




Im Blickpunkt

Stille Helden im Sponti-Hauptfeld

Amberg. (jrh) Sonntag, 22.30 Uhr, das Festival ist gelaufen, die Preise sind verteilt, die Stimmung ist ausgelassen. Klar, der Fanblock in der Südkurve hätte sich sein Team aufs Treppchen gewünscht, aber von Enttäuschung keine Spur. Leistungsdenken ist unter Spontis ein Fremdwort - alle acht Teams haben ihre Sache gut gemacht und damit basta.

Warming-up: Die undankbare Aufgabe des Einheizers hatte das Kollektiv um die AZ-Redakteure Andrea Roßner und Cindy Michel übernommen. Sie schwammen wie der Wa(h)l-Fisch im verebbten Meer zu Qual-Klängen ihres Friesennerz-Gitarristen: „Es war einmal das Meer, der Wal - Käpt'n Ahab, Jagd, Gewalt, Harpune, Schmerz, Qual, Messer, Fischstäbchen...“ Das „Trash-Konzept“ der Medien-Mädels kam gut an, „wurde aber von der Jury nicht in seiner ganzen Tiefendimension erfasst“, wie Roßner süffisant anmerkt.

DJDG-Team 2DJD-2-Rap: Die dramatische Rettungsaktion für einen gestrandeten Buckelgrintwal gipfelte in dem Geheimtippverdächtigen fetten Türken-Rap: „Bin ein Wal mit eigenen Interessen, haut bloß ab und holt euch was anderes zum Fressen!“

HCA - „Poetry Slam“: Aus gestammelten Lauten wird eine gutturale Qual - banal, genial, genital, anal, diese Wahl ist phänomenal. Moby Dick als Kollektiv, „ich bin das Maul, ich das Mittelschwanzstück, ich die Fluke und ich das Loch“ - und daraus musste eine Fontäne spritzen!

Der Astor-Epigone: Er ist der ideale Party-Alleinunterhalter. The Newfarmer Stefan Neubauer kennt keine Skrupel und spult seine Astoretten auch mit Gedächtnislücken und wenig Themenbezug nonchalant ab: „Ja, Hertie schlecht? I pfeif des Liedl mit und ob ich das gebraucht oder Neukauf“, was soll's, Hauptsache, die Ausfälle werden mit Improvisationstalent gemeistert: „Des gehört jetzt zum Text!“




Amberger Zeitung am 01.11.2005
Bilder: djd