Die eitle Prinzessin Turandot und die ihr ebenbürtige Sklavin Pnina.

Im Dr.-Johanna-Decker-Gymnasium

Großartiges auf dem "Drachenthron"

VON CHRISTIANE SCHMIDT


Amberg. Gut zwei Stunden standen die Schülerinnen auf der Bühne und spielten Wolfgang Hildesheimers Stück "Der Drachenthron"; sie schauspielerten wie die Profis und hatten ein ausgefuchstes Regiekonzept. Das war eine großartige Leistung der Oberstufenschülerinnen des Dr.-Johanna-Decker-Gymnasiums, Teilnehmerinnen am Grundkurs Dramatisches Gestalten! Zusammen mit ihrem Lehrer Peter Ringeisen haben die acht jungen Frauen aus den Jahrgängen zwölf und 13 (unterstützt von Mittelschülerinnen der Klassen zehn und elf) seit Mitte Oktober an dem Stück geprobt; herausgekommen ist eine Inszenierung, die rundherum überzeugte, mit rechter Spielfreude präsentiert wurde - und eigentlich ein ausverkauftes Haus verdient hätte. Am ersten der beiden Theaterabenden waren die hinteren Reihen im Gerhardinger-Saal der Schule leider nicht besetzt.

"Der Drachenthron" erzählt die Geschichte der chinesischen Prinzessin Turandot, die - mehr aus Ehrgeiz und persönlicher Eitelkeit denn aus religiöser Überzeugung - das Gelübde ablegt, nur den Prinzen zum Mann zu nehmen, der sie im Streitgespräch besiegen kann. 19 Bewerber sind schon auf der Strecke geblieben; Turandot läßt sie hinrichten. Der 20. (ein falscher) Prinz besiegt sie eloquent, will sie aber gar nicht haben. Sie bekommt statt dessen den echten Prinzen, der ein ebenso machthungriges Ungeheuer ist wie sie. Ein vom Autor Hildesheimer in spitzen Dialogen konstruiertes Lustspiel, das keines ist; das zu übermitteln, ist den Schülerinnen vergnüglich und ernsthaft gelungen.

Die Theater-Gruppe hat das Stück mit Hilfe eines sparsamen Bühnenbildes in die Gegenwart geholt. Nur wenige Requisiten erinnern daran, daß es zu sagenhafter Vorzeit in der Hauptstadt Chinas spielen soll. Allein die "drei Weisen" sind in lange Kimonos gehüllt und trippeln vor sich hin; das macht ihre Unglaubwürdigkeit und fragwürdige Existenz nur um so offensichtlicher. Lilli Mrasek, Sandra Mösbauer und Christine Rogner geben diesen vermeintlichen Weisen durch überzogen wichtigtuerisches Spiel die richtigen Akzente.

Die drei Weisen - so unglaubwürdig wie ihre Gewänder. Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung ist die Figur der Turandot, die Evi Nagy hervorragend im Griff hat. Als der Vorhang sich hebt, sitzt sie am Schminktischchen, kann den Blick nicht vom Spiegel wenden, betupft sich mit diversen Parfüms und Wässerchen. Ihre Schönheit und ihre ehrgeizigen, im wahrsten Sinne männermordenden Interessen, ihre Eitelkeit und Herrschsucht macht Evi Nagy von Anfang an deutlich, hält Haltung und Gehabe durch bis zum Schluß. Auch daß sie ihre Turandot angesichts der Niederlage wie ein hilfloses Kind in Tränen ausbrechen läßt, ist schlüssig. Daß der Kaiser von China gegen sie nichts zu melden hat, zeigt Eva Köhler. Sie verfügt über all die verhuschte und unbeholfene Gestik, die der Rolle die unschlüssige Tölpelhaftigkeit gibt. Daß als Kostümierung ein falsch geknöpftes Jackett und schrill goldene Operettenpantoffeln gewählt wurden, setzte dem i das Tüpfelchen auf.

Auch ihre beiden Sklavinnen versucht die Prinzessin sich zu unterwerfen; Susanne Knorr spielt die Liang so alt und grau wie nötig, Claudia Weber die Pnina eigensinnig. Es wird schon bald klar, daß sie eine würdige Gegnerin Turandots ist. Der falsche Prinz ist ein Abenteurer, der nur antritt, das "Ungeheuer" Turandot zu besiegen und sich die eigene Überlegenheit zu bestätigen; Susanne Balzer interpretiert ihn (mit Sakko, Jeans und Bogart-Hut) mit dem nötigen Selbstbewußtsein und einer gehörigen Portion Lässigkeit.

Ein Glanzpunkt der Regie ist das Streitgespräch zwischen Turandot und dem falschen Prinzen. Runde um Runde (vom Zeremonienmeister Kristiane Zorko würdevoll geklatscht) tauschen sie ihre feinsinnigen Argumente aus, wechseln die Positionen, kommen sich räumlich immer näher - bis sich alles in Tränen und im Skandal auflöst. Der Hofstaat verfolgt das Geschehen von der Hinterbühne aus - aufgereiht wie auf dem Sofa vor dem Fernsehgerät, ständig Nüsse knabbernd und den Kopf (wie beim Tennis-Match) zum dem rumreißend, der gerade an der Argumentations-Reihe ist.

Der machthungrige Kanzler möchte selbst gern die schöne Prinzessin erobern. Gabriele Ziegler meistert mit ungeheurer Souveränität die vielen Zwischentöne, die die Intrigen des machthungrigen Kanzlers Hü verlangen - und bereitet so Hüs Sturz ins Henkerbeil glaubwürdig vor. Der Sieger ist der Mann der Tat, der echte Prinz. Im Guerilla-Kampfanzug stapft Renate Storch über die Bühne, zieht die politischen Fäden so, wie es in die Pläne des Prinzen paßt. Daß er sich mit Turandot verbindet, ist ein bitterer Sieg. Es ändert sich nichts, sagt Hildesheimer, und Renate Storch und Evi Nagy demonstrieren das, als sie am Ende - siegreich Arm in Arm - dem Publikum huldvoll zuwinken.






Amberger Zeitung, Freitag, 26. März 1990