Der Welt wird ein riesiger Spiegel vor die Nase gehalten

DJD-Schülerinnen unternahmen unterhaltsamen und irritierenden Ausflug in das Reich des (Un-)Sinns / Tip für Dienstag

Von Andrea Schwarz

Amberg. "In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige" - so lautete die Exkursion "ins Reich des Unsinns", gespickt mit Absurditäten und Verrücktheiten, die frech, witzig und mit viel Esprit die Mädchen der Dr.-Johanna-Decker-Schulen einem begeisterten Publikum präsentierten.
Leider entsinne ich mich keineswegs, Monsieur.
Der Welt einen riesigen Spiegel vor die Nase halten - das hat schon so manchen Schriftsteller veranlaßt, hemmungslos im Reich des Kuriosen zu wühlen. Widerspricht doch alltäglich Gehörtes und Erlebtes so oft dem gesunden Menschenverstand! Diesen "unsinnigen Erfahrungen" spürten die Schülerinnen einfallsreich nach: In ebenso freien wie treffsicheren Interpretationen von Texten und Liedern aus Werken bekannter Autoren, z. B. Fernando Arrabal, Samuel Beckett, Heinz Erhardt, Georg Kreisler, Karl Valentin oder Ernst Jandl, hielten sie die Zuschauer in Atem. Ein spannender Abend, eine Hommage an den Irrsinn.

Mit Jahrmarktsklängen - das Leben ist ein Karussell - stimmte die Truppe auf das Kommende ein. Peter Ringeisen, verantwortlich für die Inszenierung und Spielleiter, verunsicherte mit rhetorischen Fragen: Was ist Sinn? Was ist Unsinn? Was ist Krieg, Frieden, Alltag? Dann versammelten sich die Akteure auf der Bühne, in Jeans und weißem Hemd, betrachteten das Publikum, kicherten und begannen wild zu applaudieren - Positionen einfach vertauschend - in diesem Stil ging's weiter.

Den ersten Teil des Programms rahmten, von Sigrid Ringeisen sicher einstudierte und erstaunlich professionell gebotene, tänzerische Darbietungen ein. Langsame, fließende Bewegungen zu klopfender, drängender Musik. Die einheitlich gekleideten Tänzerinnen verkörpern die gesichtslose Masse, stellen das seelenlose, immer gleiche Alltagsleben dar, sie tanzen zusammen, und doch jeder für sich allein. Sklaverei der Arbeit, kein Aufbegehren, all das kommt einem da in den Sinn.
Aus Anonymen werden Individuen - die Tanzgruppe
Der "Zwang der Freiheit"

Dann aber bricht es auf - "Zwang der Freiheit" nennt sich die Szene. Aus den Anonymen werden Individuen, die sich selbst befreien: Haare wirbeln, der mögliche Ausbruch wird angedeutet. Eine tolle Leistung der Gruppe, eine wichtige Botschaft.

Belustigt und irritiert reagierte das Publikum auf die drei eingestreuten "Sätze" einer gesprochenen "Sonate". Abwechselnd vor Notenständern stehend, tragen drei Schülerinnen absurde Texte vor: "Etwas Sanftes kam auf uns zu, doch es ging uns nichts an." Wortspiele und Nonsens begeisterten: "Wir wußten, daß wir nahe daran waren, etwas zu wissen, wenn es etwas zu wissen gibt!"

Und was gab's in Sachen Liebe? Ein Mann und eine Frau unterhalten sich, er spricht von Gefühlen, sie von Girokonten. Das Gespräch zieht sich. Eine Person kommt und drängt: "So geht das nicht, schneller!" Der zweite Versuch folgt und sieht dann so aus: "Ich liebe Sie und Abrechnungen. Wann wollen wir heiraten? Gleich, sofort, gehen wir!" Woher wissen wir, dass es ein Feind ist?
Beim Hausverkauf lautet die Formel: "Haus?" "Wieviel?" "Teuer?" "Aber preiswert!" Egal, ob eine Hausfrau Nonsens plappert, sich zwei Tangotanzende näherkommen, um verblüfft zu rekonstruieren, daß sie seit Jahren miteinander verheiratet sind, überdeutlich legt die Absurdität der Handlungen Kommunikationslosigkeit und Auseinandervorbeileben in zwischenmenschlichen Beziehungen bloß. Die Menschen sind einsam.

Peter Ringeisen verrät, daß in großer Teamarbeit seit September an diesem Stück gearbeitet wurde. Im Mittelpunkt stehe die "Absurdität des Alltags". Hinter dem Nonsens spürbar bleibt aber die Ernsthaftigkeit und die Traurigkeit über die Verhältnisse. Und trotzdem: Absurdes entlarvt die Bitterkeit der Welt, aber auch die Komik dahinter. Die negative Seite der Zustände wird erträglicher. Das "Picknick im Felde" demonstriert den Unsinn des Krieges. Mit großem Picknickkorb besuchen Eltern ihren Jungen an der Front. Als Bombenflieger nahen, spannen sie. Schirme auf, der Gefangene ißt mit, man kommt sich näher - um am Ende doch noch erschossen zu werden. Eine Spielszene mit bitterbösem Beigeschmack.

Eine tolle Leistung! Keine leichte Kost, aber unterhaltsam und humorvoll geboten. Noch einmal zu sehen am Dienstag im Jugendzentrum "Altes Klärwerk".



Die Dinge sind verzweifelt ...




Mittelbayerische Zeitung, 29. April 1996
Bilder: djd