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Michael Knoll
Grundmodelle
des Projektunterrichts
Versuch
zur Klärung eines unübersichtlichen Konzepts
Die von mir ausgewählten Modelle und Konzepte -
insgesamt fünf an der Zahl - stammen zum größeren Teil aus der
progressiven Erziehungsbewegung der Vereinigten Staaten, zum kleineren
Teil aus der „zweiten“ reformpädagogischen Bewegung der
Bundesrepublik. Sie werden von mir vor allem unter folgenden
Fragestellungen näher betrachtet: Durch welche Strukturen und Phasen sind
die ausgewählten Konzepte und Modelle gekennzeichnet? In welcher
Beziehung stehen sie zu Lehrgang und Übung als den beiden anderen Groß-
und Grundformen des Unterrichts? Was ist die Aufgabe des Lehrers, welche
Rolle spielt der Lehrplan, wieviel Freiheit hat das Kind? Zum Abschluss
formuliere ich noch einige Punkte, die mir wichtig erscheinen und zeigen,
wo meines Erachtens wesentliche Probleme und Schwierigkeiten der gegenwärtigen
Projektdiskussion liegen.
Das lineare Modell
Das erste Modell, das ich vorstellen möchte, wurde
von Calvin M. Woodward, Professor für Maschinenbau an der Washington
University in St. Louis, entwickelt. Angeregt von der Beobachtung, dass
seinen Studenten zunehmend fundiertes handwerkliches Wissen und Können
fehlte, führte Woodward um 1880 als erster technisches Werken („manual
training“) als neues Fach im amerikanischen Schulsystem ein (genauer
dazu Knoll 1988). An der von ihm gegründeten Manual Training High School
erhielten die Schüler anstelle von Latein und Griechisch Unterricht in
Werken und technischem Zeichnen, gemäß dem Motto: “Wir schicken den
ganzen Jungen in die Schule, nicht einen Teil von ihm, und erziehen ihn
durch die lebendigsten und logischsten Methoden.” Im Werkunterricht
arbeiteten die Schüler nacheinander in der Schreinerei, Drechslerei,
Schmiede und Schlosserei. Dort wurden sie mit den Künsten des Handwerks
vertraut gemacht, und zwar in drei Schritten: Zunächst wurde ihnen das
„Alphabet“ der Werkzeuge und Techniken gezeigt und erläutert. Dann
absolvierten sie eine Reihe praktischer Aufgaben, in denen sie die zuvor
im Lehrgang vorgeführten Techniken und Methoden planmäßig nachmachten
und einübten. In der Schlosserei zum Beispiel feilten sie Würfel,
drehten sie Schrauben, bohrten sie Zylinder. Schließlich - am Ende jeder
Unterrichtseinheit und am Schluss des Schuljahres - bekamen sie Zeit, um
eigene „Projekte“ zu planen und durchzuführen, sei es einzeln oder in
Gruppen, wobei die abschließende Benotung und Beurteilung der Projekte in
der Hand des Lehrers blieb. In allen drei Abschnitten - Lehrgang, Übung
und Projekt - hatten die Schüler vorab von dem, was sie anfertigen
wollten, genaue Entwürfe und Zeichnungen anzufertigen. Sie sollten damit
zum logischen Denken und sorgfältigen Planen erzogen werden. Die enge
Verbindung, die die Fächer technisches Zeichnen und Werken in Woodwards
Projektkonzept eingingen, musste sich indes nicht in einer einzelnen
Person oder Gruppe zeigen, sie konnte sich auch klassen- und jahrgangsübergreifend
verwirklichen, wie der Bericht von Thomas Mather belegt: Die Schüler
einer neunten Klasse wünschten sich ein neues Turngerät für den
Sportunterricht. Sie formulierten ihre Vorstellungen und machten eine
Skizze. Dieser Plan wurde zur Ausarbeitung an eine höhere Klasse im
technischen Zeichnen weitergegeben. Von dort wanderte das Projekt in die
Schreinerei und Schlosserei, bis es als vollendetes Produkt seinen Platz
in der Turnhalle fand. „Verschiedene Klassen waren an der Konstruktion
beteiligt“, erläuterte Mather. „Die ganze Schule weiß Bescheid und
ist interessiert. Eine Beschreibung und Freihandskizze erscheint eventuell
in der Schulzeitung, und das Projekt bleibt in der Schule zum Unterricht für
die nachfolgenden Klassen“ (zitiert nach Knoll 1988, S. 511). Der
Projektunterricht verlief bei Mather und Woodward insofern “linear”,
als er in drei nicht umkehrbaren Schritten von den “elementaren
Prinzipien” zu den “praktischen Anwendungen” oder, wie man damals
auch sagte, von der „Instruktion“ zur „Konstruktion“ führte.
Abb. 1: Lineares Modell nach Woodward
Woodward verstand das Projekt als eine
„synthetische Übung“. Die zuvor isoliert gelernten Handgriffe und
Arbeitsweisen wurden - etwa beim Herstellen von selbst ausgesuchten oder
selbst entworfenen Schränken, Stühlen, Leuchtern, Gittern,
Dampfmaschinen - im Zusammenhang gebraucht und angewandt. Die Schüler
sollten Vorstellungskraft und Erfindungsgabe entwickeln und den “ganzen
Akt der Schöpfung” durchlaufen - vom “Planen” über das
“Entwerfen” bis zum “Verwirklichen”.
Von der Übung unterschied sich das Projekt dadurch,
daß es nicht kleinschrittig, sondern komplex angelegt war und nicht vom
Lehrer, sondern vom Schüler bestimmt wurde. Den schon damals von einigen
Kritikern vorgetragenen Gedanken, die Projektarbeit vom Ende in das
Zentrum des Werkunterrichts zu verlegen und die Schüler permanent eigene
Vorhaben und Projekte durchführen zu lassen, lehnte Woodward strikt ab.
Ihm schien die systematische “Instruktion” wichtiger als die freie
“Konstruktion”. “Ohne Instruktion”, erklärte er, “hat der Junge
kein Verständnis für die Bedeutung der Reihenfolge und für die
Notwendigkeit von Erfahrung im Umgang mit Werkzeugen. Im Projekt auf sich
allein gestellt, unternimmt er, auf was er nicht vorbereitet ist. Er
gebraucht die falschen Werkzeuge oder die richtigen Werkzeuge auf falsche
Weise, und seine Arbeit ist immer schlecht” (zitiert nach Knoll 1988, S.
508f.). Nach Woodward konnte sich der Lehrer während der Projektarbeit
guten Gewissens als Instrukteur und Trainer zurücknehmen und sich auf
seine Rolle als Berater und Helfer konzentrieren, denn in den
vorhergehenden Lehrgängen und Übungen hatten seine Schüler die
Grundkenntnisse und Fertigkeiten erworben, die sie zur selbständigen
Durchführung ihrer Vorhaben benötigten. Zudem betonte Woodward immer
wieder, erhalte man im “linearen” System den Schülern die Motivation
und Lernbereitschaft und verschaffe ihnen die Freude und Befriedigung, die
entsteht, wenn sich Können und Wissen, Gelingen und Erfolg kontinuierlich
einstellten.
Das integrierte Modell
Das zweite vorzustellende Modell stammt von Charles
R. Richards, dem Professor für Manual Training an der Columbia University
in New York (ausführlich dazu Knoll 1991). Unter dem Einfluss der Ideen
von Friedrich Fröbel, William Morris und John Dewey übertrug Richards um
1900 das Fach Werken von der vierjährigen High School auf die achtjährige
Elementary School. Er nahm gegenüber Woodward zwei Veränderungen vor.
Zum ersten reorganisierte er das Fach inhaltlich: aus „manual training“,
dem „Studium der Werkzeuge und Prozesse“, machte er „industrial arts“,
das „Studium der Industrie und Künste“; denn ihm erschien die Einübung
handwerklicher Geschicklichkeit und technischer Intelligenz bei jüngeren
Schülern weniger wichtig als die Ausbildung der schöpferischen Kräfte
und die Einsicht in die sozialen Zusammenhänge der Kultur und Technik.
Zum zweiten änderte er das methodische Verfahren: an die Stelle des
“linearen” setzte er - gemäß seiner Vorstellung von der “natürlichen
Erziehung” - das “integrierte” System.
Unter „natürlicher Erziehung“ verstand Richards
eine Methode, „die den höchsten Grad absichtvoller Selbsttätigkeit
erregt, indem sie direkt an das Leben und die Interessen des Kindes
appelliert“ (zitiert nach Knoll 1991, S. 119). Damit wies Richards den
sachlogischen Ansatz von Woodward zurück und plädierte für ein Konzept,
das einer “holistischen” Motivations- und Lernpsychologie entsprach.
Die Schüler sollten „natürliche Ganzheiten“ vor Augen haben, ehe sie
sich mit den Teilaspekten beschäftigten; denn nur wenn sie ein Verständnis
für die ganze Aufgabe entwickelt hatten, konnten sie Probleme und
Schwierigkeiten erkennen und genügend Kraft und Phantasie entfalten, um
das Projekt eigenständig auszuarbeiten und den Sinn und Nutzen von den
Lehrgängen und Übungen einzusehen, die erforderlich waren, damit das
Projekt sachgerecht und erfolgreich zu Ende geführt werden konnte.
Richards rückte das Projekt also von der Peripherie in den Mittelpunkt
des Werkunterrichts. Seine Devise lautete daher nicht “Instruktion vor
Konstruktion”, sondern “Instruktion durch Konstruktion”. Um der
Motivation und Identifikation willen sollten die Schüler von Anbeginn an
der Gestaltung der Projekte beteiligt werden und so weit wie möglich die
Phasen des Beabsichtigens, Planens und Durchführens selbständig
durchlaufen. Doch von ungehemmter Freiheit und Selbstbestimmung hielt
Richards nichts. Wie Woodward und Dewey betrachtete er eine schülerzentrierte,
d. h. auch instruktions- und lehrplanlose Projektarbeit als verfehlt.
„Das Element des Selbstausdrucks in den Werkunterricht hineinzubringen,
bedeutet nicht, dass man den Schüler uneingeschränkt seinen Launen und
Einfällen überlassen soll. [... Es] bedeutet auch nicht, dass der Schüler
ganz allein und detailliert Plan und Ausführung entwickeln muss. Man würde
zuviel von der unausgebildeten Urteilsfähigkeit kleiner Kinder erwarten,
und nur unausgegorene Projekte und unbefriedigende Arbeit wären die
Folge. Aber es sollte immer bedeuten, dass die Gedanken und Gefühle eines
jeden wirklich beitragen zu dem Ziel, für das er arbeitet“ (ebd., S.
119 f.). Nach Richards war es auch im Projektunterricht Aufgabe des
Lehrers, die Schüler zu lenken und zu leiten, ohne allerdings je in die
Pose eines “Zuchtmeisters” oder “Diktators” zu verfallen.
Abb. 2:
Integriertes Modell nach Richards
Richards’ Konzept kam an der Versuchs- und Übungsschule
der Columbia University zur Anwendung, wenn dort Themen wie das Leben
Robinson Crusoes und King Arthurs oder wenn - in höheren Klassen -
Unterrichtseinheiten wie “das Transportwesen“ oder “die
Druckkunst“ erarbeitet wurden. Diese Einheiten standen unter der Führung
von „industrial arts“, doch Fächer wie Geschichte, Geographie, Kunst
und Literatur hatten große Bedeutung und trugen mit wechselndem Anteil
entscheidend zur inhaltlichen Ausgestaltung des Projekts bei. Eine feste
Verbindung zu einem bestimmten Fach, wie etwa bei Woodward zum technischen
Zeichnen, gab es hier allerdings nicht. Als Beispiel für Richards’
integrierten Ansatz sei das „Indianerprojekt“ genannt. In einer
zweiten Klasse lasen die Kinder das Gedicht „Hiawatha“ von Longfellow.
Sie besprachen die Gebräuche und Riten der Indianer und besuchten das
Naturkundemuseum im Central Park. Dann bauten sie Zelte, schneiderten Kostüme,
töpferten Gefäße, um schließlich einen Tag wie Indianer zu leben. Hier
wird ein weiteres Element sichtbar, das über Woodwards Projektkonzept
hinausweist: neben den üblichen Lehrgängen und Übungen fanden auch
Ausflüge und Erkundungen in die nähere Umgebung statt, die mithelfen
sollten, Erfahrung und Anschauung der Schüler zu erweitern und Impulse
und Anregungen für ihre Arbeiten und Vorhaben zu geben. Solch große
Projekte wie das Indianerprojekt waren freilich die Ausnahme. Zumeist
wurden die Themen am kleinen Modell illustriert. Gruppenarbeit spielte
hier wie stets eine wesentliche Rolle. In der Unterrichtseinheit Wohnen
und Bauen etwa wurden Forts, Farmen, Häuser rekonstruiert. Beim Bau eines
griechischen Tempels, so berichtet Richards, formte jedes Kind aus Ton
eine Säule, ein Kapitell, einen Giebel und zudem je ein Segment für
Fundament, Wand und Dach. Die schönsten Stücke wurden von den Schülern
ausgewählt, in Gips gegossen und zu dem circa einen Meter langen Tempel
zusammengesetzt. Am Ende des Schuljahrs fand eine Ausstellung statt, in
der die Klassen ihre Produkte und Kunstwerke der Öffentlichkeit
vorstellten.
Das universelle Modell
Das dritte Modell ist mit dem Namen William H.
Kilpatrick verknüpft, dem international wohl bekanntesten Projektpädagogen
(eingehend dazu Knoll 1993). Kilpatrick, wie Richards Professor an der
Columbia University, begründete sein Projektkonzept mit Deweys Theorie
der Erfahrung. Die Kinder sollten Erfahrungen und Kenntnisse erwerben,
indem sie wirkliche Probleme und soziale Situationen bewältigten. Doch
mehr noch als auf die Erfahrungstheorie von Dewey berief sich Kilpatrick
auf die Lernpsychologie von Edward L. Thorndike. Nach Thorndikes
“Gesetzen des Lernens” verschaffte ein Handeln, zu dem eine
“Neigung” bestand, “Befriedigung” und wurde eher wiederholt als
ein Handeln, das unter “Zwang” erfolgte und “verärgerte”.
Kilpatrick zog daraus den Schluss, dass die “Psychologie des Kindes”
das ausschlaggebende Moment im Lernprozess war. Das Kind musste frei
entscheiden können, was es tun wollte; denn in dem Maße, in dem es seine
eigenen “Absichten” verfolgte, erhöhten sich seine Motivation und
sein Lernerfolg. Diese Einsicht legte Kilpatrick seinem Projektkonzept
zugrunde. Er definierte das Projekt als „herzhaftes absichtsvolles
Tun“ (nicht als „herzhaftes planvolles Tun“, wie es in der
traditionellen deutschen Übersetzung heißt). „Absicht“ setzte nach
Kilpatrick zwangfreie „Freiheit zum Handeln“ voraus, sie konnte nicht
zugewiesen werden. Schwand indes die Absicht und bestanden Lehrer und Schüler
dennoch auf der Vollendung dessen, was begonnen worden war, dann wurde aus
dem Projekt eine „Aufgabe“ - bloße Mühe und Arbeit. In diesem Fall
sollte es am besten abgebrochen und beendet werden. Unabhängig davon,
dass er das Projekt zur einzig angemessenen Unterrichtsmethode in der
demokratischen Gesellschaft erhob und für das Handeln in einer
“sozialen Umgebung” eintrat, machte Kilpatrick mit seiner Definition
die Einstellung und Motivation des Schülers zum entscheidenden Merkmal
der Projektmethode. Was auch immer das Kind unternahm, solange es
„absichtsvoll“ und aus “ganzem Herzen” geschah, handelte es sich
um ein Projekt. Kein Aspekt des wertvollen Lebens war ausgeschlossen.
Abb. 3:
Universelles Modell nach Kilpatrick I
Kilpatrick erfand eine Typologie von Projekten, die
das Nähen eines Kleides („Produktionsprojekt“) ebenso einschloss wie
das Lösen mathematischer Aufgaben („Problemprojekt“), das Einprägen
französischer Vokabeln („Lernprojekt“) und das Anhören einer
Schallplatte („Konsumtionsprojekt“). Damit hatte er, unter neuem Namen
und unter neuem Gesichtspunkt, die ganze Palette der herkömmlichen
Methoden in seinem Konzept vereint - vom Lehrgang und Training über das
Plan- und Rollenspiel bis zum Experiment und Praktikum. Der gute
Unterricht bestand bei Kilpatrick also aus einer permanenten Folge von
Projekten, die - wie schon bei Woodward und Richards - vier Phasen hatten:
Beabsichtigen, Planen, Durchführen und Beurteilen. Ideal verlief das
Projekt jedoch nur dann, wenn alle Phasen, d. h. auch das Bewerten und
Beurteilen, von den Schülern - und nicht vom Lehrer - initiiert und
vollzogen wurden. Denn nur wenn die Schüler die “Freiheit zum
Handeln” besaßen und das “Handeln mit Befriedigung” ausführten,
konnten sie Selbständigkeit, Urteilsvermögen und Handlungskraft erwerben
- die Tugenden also, die Kilpatrick für die Aufrechterhaltung und
Weiterentwicklung der Demokratie für unerlässlich hielt. Im Grunde war
Kilpatricks „Projektmethode“ gar keine Methode, sondern ein
“universelles” didaktisches Prinzip, das die momentane Einstellung des
Schülers zu seinem Tun und nicht die Planung und Realisierung eines größeren
Vorhabens als Grundlage der Projektdefinition ansah. Anders als bei seinen
Vorgängern hatte das Projekt bei Kilpatrick keinen Bezug zu einem
bestimmten Fach oder Lernbereich, etwa zum technischen Werken und zur
bildnerischen Gestalten. Es war inhaltlich und methodisch völlig offen -
ja, es erforderte nicht einmal aktives Handeln. Die Kinder, die ein
Theaterstück darboten, führten genauso ein Projekt durch wie die Kinder,
die im Zuschauerraum saßen und sich köstlich amüsierten.
Abb. 4:
Universelles Modell nach Kilpatrick II
An der
bereits genannten Versuchs- und Übungsschule der Columbia University
betreute Kilpatrick eine Experimentalklasse, die nach seinen Vorstellungen
arbeiten sollte. Die Kinder dieser Grundschulklasse diskutierten über
jeden Punkt des Tagesprogramms. Sie sagten und besprachen, was sie einzeln
oder in Gruppen unternehmen wollten: welche Geschichte sie hören, welches
Lied sie singen, welches Bild sie malen, welche Aufgaben sie lösen
wollten. Sie stellten Schulregeln auf und stimmten darüber ab, ob sich
ein Kind sozial oder unsozial verhalten hatte. Wenn nötig, griff die
Lehrerin klärend und steuernd in die Diskussion ein, aber für gewöhnlich
hielt sie sich im Hintergrund und kümmerte sich vor allem darum, wie die
Informationen und Materialien beschafft werden konnten, die die Kinder zur
Durchführung ihrer Projekte gebrauchten. Kilpatrick war mit dem
Experiment nicht ganz zufrieden und zog sich auch bald davon zurück.
Seiner Ansicht nach war selbst diese Form des zwangsfreien, schülerzentrierten
Lernens immer noch zu sehr Unterricht und wurde allzu sehr von Lehrer,
Lehrplan und Belehrung geprägt. Wegen der heftigen Kritik, die seine, den
herkömmlichen Sprachgebrauch missachtende Definition bei den führenden
amerikanischen Pädagogen - einschließlich Dewey - hervorgerufen hatte,
sah sich Kilpatrick in den dreißiger Jahren genötigt, seinen
Projektbegriff aufzugeben und einfach von “Motivation” und
“Einstellung” zu sprechen, wenn er “herzhaftes absichtsvolles Tun”
meinte.
Exkurs:
John Dewey und die Projektmethode
In Deutschland gilt John Dewey (1958-1952), der
amerikanische Philosoph und Pädagoge, als “Vater” und Begründer des
Projektunterrichts. Warum, fragt sich daher der kundige Leser, steht Dewey
nicht im Mittelpunkt dieser Übersicht? Warum ist er hier nicht mit einem
eigenen Modell vertreten? Die Antwort, die ich an dieser Stelle gebe, muss
knapp ausfallen (ausführlicher Knoll 1992). Dewey hat sich zwar seit dem
Jahre 1916 immer wieder zur Projektmethode geäußert und durch produktive
und kritische Bemerkungen auch wichtige Aspekte zu ihrer Gestaltung und
Ausformung beigetragen. Wie berichtet, hatte etwa Richards schon um 1900
Deweys allgemeine Überlegungen zum Werken und zum praktischen Lernen
rezipiert und in sein Konzept der “industrial arts” und der
“integrierten” Projektarbeit aufgenommen. Aber Dewey hat nie - wie die
deutsche Überlieferung es will - eine differenzierte Theorie und Begründung
der Projektmethode entwickelt. Was er in “Wie wir denken” (1910) und
in “Demokratie und Erziehung” (1916) entfaltete und wofür er von den
amerikanischen Pädagogen zurecht in Anspruch genommen wird, ist nicht die
“Projektmethode”, sondern die “Problemmethode” (vgl. Bossing 1935,
Brubacher 1947, Tanner 1997). Um das geistige Wachstum im Unterricht
optimal zu fördern, sollten die Schüler nach Dewey vor allem
“Themen” bearbeiten und “Probleme” bewältigen, die den
unterschiedlichsten Fächern und Wissensgebieten entstammten und sie
interessierten. Das “Projekt” war für ihn lediglich eine Unterform
des “Problems”, mit dessen Hilfe vor allem praktisches, nicht
abstraktes, Wissen und Können erworben werden sollte.
Abb. 5:
Projektstruktur nach Dewey
In der Tat betrachtete Dewey das Projekt - im
Gegensatz zu Kilpatrick, aber wie Richards - als eine Methode unter
anderen. Er definierte es als ein “gemeinsames Unternehmen” von Schülern
und Lehrern, das die “konstruktiven” Interessen der Kinder ansprach,
auf die Herstellung vorweisbarer “Produkte” abzielte und nach dem
“integrierten” Modell ablief. Dewey stellte vier Kriterien auf, die
jedes Projekt, wie jeder andere Unterricht auch, erfüllen musste, damit
es als erzieherisch wertvoll gelten konnte:
-
-
Das Projekt muss das “Interesse” der Schüler finden, d. h. es
muss auf ihre Bedürfnisse und Erfahrungen eingehen.
-
-
Das Projekt muss etwas “Wertvolles im Leben selbst” darstellen,
d. h. es muss auch vom Standpunkt der Erwachsenen aus wichtig und nützlich
sein.
-
-
Das Projekt muss “komplex” angelegt sein, d. h. es darf sich
nicht mit “bloßer Handfertigkeit” begnügen, es muss auch und vor
allem “geistiges Wissen” vermitteln.
-
-
Das Projekt muss “Kontinuität” besitzen, d. h. es muss eine
gewisse Zeit andauern und auf natürliche Weise ins nächste Thema übergehen,
so dass sich der Erfahrungshorizont der Schüler fortschreitend erweitert.
Würden diese Kriterien nicht beachtet und der
Versuch gemacht, die Projekte “spontan” von den Kindern entwickeln zu
lassen, dann führe das, so Dewey, nur zu unbefriedigenden Ergebnissen.
Die Praxis habe es immer wieder gezeigt. “Viele sogenannte Projekte”,
erläuterte Dewey, “sind von solch kurzer Zeitspanne und werden aus
solch zufälligen Gründen begonnen, dass die Vergrößerung des Wissens
und die Bekanntschaft mit Prinzipien minimal ist. Kurz gesagt, sie sind zu
trivial, um bildend zu wirken” (zitiert nach Knoll 1992, S. 103). Die
von Kilpatrick immer wieder betonte Selbstbestimmung und
Selbstorganisation der Schüler spielte bei ihm nicht die entscheidende
Rolle. Nach Dewey stand der Lehrer auch beim Lernen am Projekt im Zentrum
des Geschehens. Ihn, den Lehrer, als Leiter und Führer
“minimalisieren” und tendenziell abschaffen zu wollen, kritisierte er
als eine völlig “falsche Vorstellung”. “Der Lehrer”, bestimmte
Dewey, “... [muss] für Pläne und Projekte sorgen, die den Schüler
zwingen, vorauszusehen und vorauszudenken” (ebd., S. 104). Die
Ausbildung demokratischen Verhaltens sei das mittelbare, die Ausbildung
wissenschaftlichen Denkens jedoch das unmittelbare Ziel, auf das der
Lehrer hinzuwirken habe. Das ausschlaggebende Kriterium der Projektmethode
war bei Dewey daher nicht - wie bei Kilpatrick - die “Freiheit des
Handelns”, die der Schüler im Unterricht genoss, sondern - wie bei
Richards - die “Freiheit des Denkens”, die sich im “konstruktiven”
Tun ausdrückte.
Das aktionistische Modell
Das letzte der hier vorzustellenden Modelle entstand
Anfang der siebziger Jahre, als in der Bundesrepublik die Projektidee
unter dem Einfluss der “zweiten reformpädagogischen Bewegung” eine
Renaissance erlebte. Bernhard Suin de Boutemard, zu jener Zeit Assistent
an der Universität Osnabrück, gehörte zur pädagogischen Avantgarde und
entwickelte auf der Grundlage der pragmatistischen Erfahrungsphilosophie
von John Dewey und auf der Basis des symbolischen Interaktionismus von
Herbert Blumer eine allgemeine Theorie des Projektunterrichts, die er auch
für die Unterrichtspraxis aufzubereiten suchte. Seine Aufsätze und Bücher
(1973, 1975, 1976) haben die deutsche Projektdiskussion entscheidend geprägt
und die damals bereits existierenden Gedanken und Argumente so geformt und
verstärkt, daß sie zum Standard wurden und bis heute vielen Pädagogen
als Maßstab und Richtschnur dienen.
Suin de Boutemard geht von der These aus, dass die
Schule das Ziel habe, die soziale Handlungsperformanz auszubilden und das
bestehende Gesellschaftssystem humaner und friedvoller zu gestalten. Um
dieses Ziel zu erreichen, sei das Projekt die geeignete Unterrichtsform.
Im Gegensatz zu seinen deutschen Kollegen definiert Suin de Boutemard den
Projektunterricht nicht durch eine bestimmte Verlaufsstruktur (wie etwa
Frey 1998) oder durch einen differenzierten Merkmalskatalog (wie etwa
Gudjons 1997); vielmehr grenzt er ihn komparativ gegen andere
Unterrichtsmethoden ab. Er unterscheidet dabei idealtypisch drei
Grundformen, die er „Informations”- „Problem”- und
„Projektunterricht” nennt (Suin de Boutemard 1973, S. 48f.). Während
der „Informationsunterricht„ interaktiv Fremdwissen weitergebe,
vermittle der „Problemunterricht„ Fremd- und Eigenwissen, wobei die
behandelten Themen, Fragen und Aufgaben - anders als beim
Informationsunterricht - im Verlauf der symbolischen Interaktion nicht nur
transferiert, sondern auch umstrukturiert und reinterpretiert werden. Der
„Projektunterricht„, so Suin de Boutemard, stelle den höchsten und
umfassendsten der drei Unterrichtsformen dar. Er zeichne sich dadurch aus,
dass er über das Vermitteln und Umstrukturieren hinaus auch das Entstehen
von Wissens- und Problembeständen in den Prozess der interpretativen
Interaktion miteinbeziehe. Während sich der Informations- und der
Problemunterricht also auf das Weitergeben und Verarbeiten von Sekundärerfahrungen
beschränkt, geht es beim Projektunterricht vor allem um das Generieren,
Interpretieren und Implementieren von Primärerfahrungen.
Das Lernen am Projekt ist nach Suin de Boutemard ein
komplexes Gebilde. Er sieht es durch zwei „interdependente Grundtypen„
bestimmt, die er als „Expedition„ und „Kurs„ bezeichnet (Suin de
Boutemard 1973, S. 109). Aufgabe der „Expedition„ sei es, sagt er, die
Schüler in die schulische und außerschulische Umwelt hinauszuschicken,
um dort Erfahrungen und Materialien zu sammeln, die sie dann zurück im
Klassenzimmer interaktiv und interpretierend verarbeiten. Der „Kurs„
habe dagegen die Funktion, die “Expedition” inhaltlich und
organisatorisch vorzubereiten, sie ad-hoc durch fachspezifische Lehrgänge
und problemverarbeitende Unterrichtsgespräche zu begleiten und sie schließlich
durch Abstrahieren, Klassifizieren, Supplementieren der gemachten
Erfahrungen nachzubereiten. Auch wenn Suin de Boutemard sie nicht extra
ausweist, kann man bei ihm neben “Expedition” und “Kurs” noch eine
dritte Grundform erkennen. Gemeint ist die „Aktion„. Wie die
“Expedition” führt die “Aktion” in die schulische und außerschulische
Welt hinaus, jedoch nicht, um die Welt zu erklären und zu verstehen,
sondern um sie zu verändern und zu verbessern. Suin de Boutemard hat
damit ein Modell des Lernens am Projekt vorgelegt, das über die Ansätze
von Woodward, Richards und Dewey weit hinausgeht: die Schüler setzen ihre
an der Wirklichkeit gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse sofort und
nicht erst später als Erwachsene zur Überwindung und „Transzendierung„
des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems handelnd ein.
Suin de Boutemard ergänzt seine “aktionistische” Theorie durch eine
„Methodik„ mit sieben “Elementen” oder Phasen ergänzt, die vom
“Thematisieren” und “Problematisieren” über “Regelbilden”,
“Entscheiden” und “Planen” bis zum “Simulieren” und
“Erproben” reicht (ebd., S. 110f., S. 62ff.).
Abb. 6:
Aktionistisches Modell nach Suin de Boutemard
Suin de Boutemard vertritt die Ansicht, dass an der
„Konstruktion und Organisation„ des Projektunterrichts Schüler und
Lehrer gleichermaßen beteiligt sind. Er veranschaulicht seine These,
indem er am Beispiel der Themenfindung drei Möglichkeiten der Schülerpartizipation
beschreibt und erörtert. Das Projektthema die Schüler selbst auswählen
zu lassen, argumentiert er, liefere sie „den gesellschaftlich
vermittelten und entfremdeten Verengungen ihres Horizonts„ aus; ihnen
ein Thema mittels curricularer oder anderer normativer Vorstellungen
aufzuzwingen, unterwerfe sie „einem verdinglichten Konzept des Lernens
und Lehrens„ (Suin de Boutemard 1976, S. 32). Daher plädiert Suin de
Boutemard für einen dritten Weg zwischen Schüler- und
Lehrplanorientierung. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer
„bezugsrahmenorientierten Themenfindung„ und meint damit ein
Verfahren, in dem zwar ein bestimmter Lernbereich vorgegeben ist, der aber
in einem Prozess des „wechselseitigen Aushandelns„ von Schülern und
Lehrern konkret ausgefüllt und ausgestaltet wird. Auf diese Weise würden
die Schüler weder „bevormundet„ noch in ihrer „gesellschaftlich
beschädigten Identität und entfremdenden Horizontverengung„ belassen.
Die Freiheit der Schüler ist damit etwa so gefasst wie bei Richards und
Dewey. Die Schüler planen und bestimmen die Projekte inhaltlich und
methodisch mit. Keine Entscheidung kann gegen sie gefällt werden. Dadurch
verändert sich die Rolle des Lehrers. Er praktiziert nicht nur einen
sozial-integrativen, demokratischen Erziehungsstil, er übernimmt auch
neue Aufgaben, zum Beispiel die des “Schutzes”, wenn die Schüler bei
Umfragen, Interviews und Flugblattaktionen unbedacht mit Bürgern und
„Instanzen der sozialen Kontrolle„ in Konflikt geraten. Wie bei
Richards und Dewey ist der Lehrer bei Suin de Boutemard “Anwalt„ der
Kinder und Vertreter ihrer „objektiven Interessen„, aber er ist darüber
hinaus ihr “Helfer” und “Verbündeter”, um sie bei der
Verwirklichung ihrer Projekte und beim Aufbau einer humanen und
demokratischen Gesellschaft zu unterstützen.
Ausblick
Unser Streifzug durch die Projektlandschaft gibt nur
einen kleinen Eindruck von der Vielfalt der Konzepte und Vorstellungen,
die in den letzten einhundert Jahren von deutschen und amerikanischen Pädagogen
für Schule und Unterricht entwickelt wurden. In der Tat hätte ich noch
eine ganze Reihe anderer Beispiele und Modelle vorstellen können - aus
deutscher Sicht etwa die Arbeiten von Karl Frey (1998), von Johannes
Bastian (1997) und Herbert Gudjons (1997), von Ludwig Duncker und Bernd Götz
(1988), von Dagmar Hänsel (1999) und Gerhard Wöll (1998). Doch die
Konzentration auf wenige Grundmodelle hat den Vorzug, dass sie den Überblick
erleichtert, die Gefahr der Wiederholung verkleinert und - nicht zuletzt -
die Zahl meiner abschließenden Bemerkungen verringert.
Was gilt es also festzuhalten? Was sind die Lehren,
die aus der Geschichte und Gegenwart gezogen werden können? Mir scheinen
es vor allem drei zu sein. Ich möchte sie hier darstellen und erläutern,
indem ich Suin de Boutemards Konzept herausgreife und an seinem Beispiel
Vorstellungen beleuchte und kritisch kommentiere, die die deutsche
Projektdiskussion bis heute zu ihrem Nachteil beeinflussen:
1. Indem Suin de Boutemard den Projektunterricht vom
Informations- und Problemunterricht
abgrenzt,
eröffnet er sich die Chance, das Projekt im Sinne von Woodward als Teil
eines “linearen”, mehrstufigen Modells zu verstehen. Nach dem
“linearen” Modell werden durch Lehrgang und Übung zunächst die
Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, die dann in „Expedition„ und
„Aktion„ von den Schülern relativ unabhängig vom Lehrer umgesetzt
werden können. Das didaktische Potential, das sich Suin de Boutemard
damit erschließt, erkennt und nutzt er allerdings nicht. Wie seine
bundesdeutschen Kollegen beschränkt er sich auf die Vorstellung und
Ausarbeitung des schwerer zu realisierenden „integrierten Modells„,
wie es Richards entwickelt hatte: Lehrgänge, Kurse, Übungen finden während
des Projektunterrichts, nicht vor der eigentlichen Projektarbeit statt.
Suin de Boutemards konzeptionelle Beschränkung ist bedauerlich; denn das
“lineare” Modell von Woodward bietet - ähnlich wie die Facharbeit,
das Schülerexperiment, die Problemaufgabe - eine ausgezeichnete
Voraussetzung, dass die Schüler ihre Projekte weitgehend selbständig
entwerfen und durchführen können. Hier ist der Lehrer dann wirklich nur
der „Helfer„ und „Berater„, der Fragen beantwortet und Impulse,
Anregungen, Empfehlungen gibt, und nicht der „Instrukteur„ und
„Bremser„, der den Taten- und Aktionsdrang der Schüler dauernd
kanalisieren und stoppen muss, mit dem frustrierenden und häufig
demotivierenden Hinweis, dass erst dieses und jenes gelernt, geübt,
geplant werden müsse, ehe das Projekt tatsächlich begonnen und
verwirklicht werden könne.
2. Wie viele seiner deutschen Kollegen vermischt Suin
de Boutemard zwei Ebenen der Argumentation (vgl. auch Kost 1977).
Einerseits beschreibt er das Projekt - wie Woodward und Richards - als
eine Unterrichtsmethode, die gleichwertig neben anderen Methoden wie dem
Informations- und dem Problemunterricht existiert. Diese Gleichwertigkeit
ist indes nur scheinbar, denn das Erwerben und Verarbeiten von Primärerfahrung
wird von ihm - da authentischer und lebensrelevanter - weitaus höher
bewertet als das Aufnehmen und Verarbeiten von Sekundärerfahrung.
Andererseits erklärt Suin de Boutemard, wie Kilpatrick, daß der
Projektunterricht ein “universelles” didaktisches Konzept sei, das
alle Unterrichtsmethoden: den informationsvermittelnden Lehrgang ebenso
wie das praktische Verhaltenstraining und das problemverarbeitende
Unterrichtsgespräch - einschließt und umgreift. Der Projektunterricht,
wie Suin de Boutemard und andere ihn konzipieren, ist inkonsequent und
widersprüchlich, denn er ist sowohl ein spezielles Verfahren, mit der
sich verschiedene Lerninhalte verbinden lassen, als auch ein generelles
Prinzip, an dem sich letztlich der gesamte Unterricht orientieren muss,
will er in pädagogischer und politischer Hinsicht als wertvoll und wünschenswert
gelten. Suin de Boutemard erkennt diesen Widerspruch nicht. Er konstatiert
lediglich einen didaktisch-methodischen Doppelcharakter, der schließlich
dazu führt, dass das Projekt an der Spitze einer Hierarchie von
Unterrichtsformen steht, in der es zugleich höchste Methode und oberstes
Prinzip darstellt. Diese Stilisierung des Projektunterrichts zur besten
und im Grunde einzig richtigen Form des Unterrichts ist theoretisch nicht
zu legitimieren, aber auch praktisch nicht zu verantworten, bringt sie
doch selbst die Lehrer in eine schwierige Lage, die zwar mit den Zielen
und Absichten des Projektunterrichts übereinstimmen, aber aus
naheliegenden institutionellen, zeitökonomischen und didaktischen Gründen
traditionell unterrichten müssen und traditionell unterrichten wollen.
3. Suin de Boutemard ordnet - wie viele seiner
Kollegen - den drei elementaren Unterrichtsformen Lehrgang, Problem und
Projekt bestimmte Erziehungsziele zu. Er macht dies auf indirekte Art und
Weise. Indem er den Projektunterricht mit dem hohen Anspruch der
individuellen und gesellschaftlichen Emanzipation verknüpft, qualifiziert
er Informations- und Problemunterricht als zweitklassig ab; denn die
beiden zuletzt genannten Methoden bilden seines Erachtens nur
systemstabilisierende Handlungskompetenz, keine systemtransformierende
Handlungsperformanz aus. So wird der Projektunterricht durch Suin de
Boutemard nicht nur über die anderen Unterrichtsformen erhoben, er wird
auch zur einzigen und wahren Methode, die einer sozialen und
demokratischen Gesellschaft angemessen ist. Zudem wird er unangreifbar und
immun gegen jegliche Kritik. Welcher vernünftige Mensch ist denn gegen
Freiheit, Mitbestimmung, Gerechtigkeit? Welcher Lehrer will nicht zur
Selbständigkeit, Mündigkeit, Demokratie erziehen, zumal die
Verfassungen, die Schulgesetze, die Lehr- und Bildungspläne ihn dazu
ausdrücklich verpflichten? Mit der engen Koppelung von Erziehungszielen
und Unterrichtsmethoden steht Suin de Boutemard nicht in der Nachfolge von
Dewey, sondern von Kilpatrick, der als erster das Lernen am Projekt mit
der Erziehung zur Demokratie gleichsetzte. Doch eine solche Gleichsetzung
verkennt den Sachverhalt. Auch die anderen Formen des Unterrichts wie
Vortrag, Lehrgang, Übung können offensichtlich zum kritischen Denken,
verantwortlichen Handeln, sozialen Verhalten beitragen. Und daß der
Projektunterricht sein Ziel der direkten demokratischen Schul- und
Gesellschaftsreform durchaus verfehlen kann, davon zeugen die
Beobachtungen und empirischen Untersuchungen, über die Zimmer (1987),
Warnken/Klein-Nordhues (1991), Hackl (1994), Schümer (1996) und andere so
anschaulich berichten.
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Johannes u. a. (Hrsg.): Theorie des Projektunterrichts. Hamburg 1997.
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