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Eine Region lernt Leben retten
Europäische Kardiologen und Notfallmediziner fordern schnellere Herzinfarkttherapie

Kardiologen und Notfallmediziner verschiedenster europäischer Länder gaben gemeinsam bekannt, dass ein Myokardinfarkt vor Ort beim Patienten behandelt werden müsse und nicht erst nach Einweisung im Krankenhaus. Die beiden Gruppen kamen auf einem interdisziplinären Treffen in Spanien zu dem Schluss, dass nur eine enge Zusammenarbeit eine schnellere Behandlung von Patienten mit akutem Myokardinfarkt (AMI) gewährleisten kann.

Diese Übereinkunft über eine neue Behandlungsinitiative war der Höhepunkt der zweitägigen Konferenz "International Experts Workshop on Early Treatment Strategies for Myocardial Infarction" in Palma de Mallorca. Auch über die nächsten Schritte herrschte Einigkeit, so u. a. über die Initiierung von Diskussionen auf lokaler Ebene, um der präklinischen Therapie den Weg zu ebnen.

"Notärzte und Rettungsdienstmitarbeiter haben den ersten Kontakt mit dem Patienten und sind die ersten Personen, die einen Herzinfarkt diagnostizieren und behandeln können", kommentierte Dr. Patrick Goldstein, zweiter Vorsitzender des Experten-Workshops und Notfallmediziner im französischen SAMU-Netzwerk (Lille, Frankreich), eines der fortschrittlichsten Netzwerke in Europa. Jährlich diagnostizieren und behandeln die mobilen intensivmedizinischen SAMU-Einheiten mehr als 6.000 Myokardinfarkt-Patienten direkt vor Ort. "Notfallmediziner und Kardiologen haben nur äußerst selten die Gelegenheit, sich bei einer medizinischen Konferenz auszutauschen. Wir kommen aus unterschiedlichen medizinischen Disziplinen, besuchen unterschiedliche medizinische Kongresse und gehören unterschiedlichen medizinischen Vereinigungen, die Diagnose- und Behandlungsrichtlinien verabschieden, an."

Nach Dr. Goldstein ist dies einer der Gründe, warum die Entwicklung einer präklinischen Therapie so lange gedauert hat.

Bei der Behandlung von akutem Myokardinfarkt gilt das Motto "Zeit ist Muskel". Wenn ein Blutgerinnsel in einer Arterie den Blutfluss zum Herz fast oder ganz unterbricht, sterben die Zellen im Herzmuskel ab. Je schneller die Patienten behandelt werden, desto schneller kann der Blutfluss wieder hergestellt werden, wodurch häufig Leben gerettet oder irreversible Muskelschäden signifikant reduziert werden können.

Aufgrund der unterschiedlichen Gesetzgebung, Kultur und Infrastruktur in ihren Heimatländern diskutierten die Workshop-Teilnehmer die Organisation einer präklinischen Thrombolyse in zwei unterschiedlichen Szenarien:

1. Die lokale Gesetzgebung erlaubt dem Rettungsdienstpersonal die Durchführung eines Elektrokardiogramms außerhalb der Klinik, die anschließende elektronische Übermittlung dieses EKG zum Krankenhaus zur Bestätigung eines Herzinfarkts sowie einen darauf folgenden sofortigen Behandlungsbeginn.

2. Diese Verfahren dürfen nur von einem ausgebildeten Arzt durchgeführt werden.

Die deutschen Teilnehmer waren sich darüber einig, dass jeder mit einem Notarzt besetzte Rettungswagen in Deutschland ein modernes Lysepräparat vorhalten müsse. Auch führende Kardiologen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie fordern dies in ihrer neuesten Leitlinie zur Behandlung des akuten Herzinfarkts.

Eine solche Strategie erwies sich in mehreren Studien als erfolgreich. Einer der Workshop-Teilnehmer, Prof. Frans van de Werf von der Universitätsklinik Gasthuisberg in Leuven, Belgien, und Leiter der ASSENT-Studien, betonte, dass in der ASSENT-3-PLUS-Studie eine präklinische Thrombolyse
1) die typische Behandlungszeit um 47 Minuten verkürzen und somit eine Behandlung in weniger als zwei Stunden bei 53 Prozent der Patienten ermöglichen konnte. Dies wurde durch den Einsatz des Thrombolytikums Tenecteplase (Metalyse®) unterstützt, das als Einfach-Bolus innerhalb von Sekunden verabreicht werden kann. "Verschiedene an der ASSENT-3-PLUS-Studie teilnehmende Kliniken hatten noch nie zuvor eine präklinische Thrombolyse durchgeführt und mussten dies erst lernen. In der Methode erfahrene Teilnehmer unterstützten die unerfahrenen; so kam es zu sehr schnellen Lernerfolgen", erklärte Prof. van de Werf.

"Boehringer Ingelheim engagiert sich seit Jahren sehr intensiv für eine verbesserte Behandlung des Herzinfarkts", betonte Dr. Dr. Andreas Barner, Mitglied der Unternehmensleitung von Boehringer Ingelheim und einer der Sponsoren der Veranstaltung. Dies zeigt sich auch in unserer Unterstützung der ASSENT-4-PCI-Studie, in der eine Kombinationsstrategie aus Thrombolyse und anschließender PCI untersucht wird. Sollte sich dieser Ansatz als erfolgreich erweisen, ziehen Patienten sowohl Vorteile aus der sehr schnellen Auflösung des Blutgerinnsels durch eine frühzeitige Thrombolyse als auch aus einer Beseitigung der Gefäßläsion durch eine Angioplastie/Stent-Implantation. Außerdem unterstützen wir die internationale TROICA-Studie, die untersucht, ob Tenecteplase die Überlebenschance bei Patienten mit Herzstillstand und Reanimation erhöhen kann. Zurzeit gibt es für den Fall eines Herzstillstands bei Verdacht einer Herz-/Kreislauferkrankung als Ursache keine spezifische zugelassene medikamentöse Therapie. Das Herz hört plötzlich auf zu schlagen und es kommt zu ungeordneten Herzmuskelbewegungen mit einem Zusammenbruch des Kreislaufs. Können nicht innerhalb weniger Minuten Herzschlag bzw. Herzrhythmus und Blutversorgung wieder hergestellt werden, stirbt der Betroffene. Ein Herzinfarkt oder eine Lungenembolie sind bei etwa zwei Drittel der Patienten die Ursache eines Herzstillstands. Bei beiden Erkrankungen kommt es durch die Bildung von Blutgerinnseln zu einer Verstopfung wichtiger Gefäße. Die Gabe von Thrombolytika erscheint somit auch bei einem Herzstillstand sinnvoll, denn bei Herzinfarkt und Lungenembolie hat sich die lebensrettende, weil Gerinnsel lösende Wirkung der Thrombolytika bei Tausenden behandelten Patienten bewährt."

METALYSE®
Metalyse® (Tenecteplase) ist das einzige Thrombolytikum, das innerhalb von fünf bis zehn Sekunden als Einzeldosis (Bolus) verabreicht werden kann - somit ist es derzeit die schnellste Darreichungsform eines Thrombolytikums zur Behandlung von Herzinfarkt, auf das Ärzte zurückgreifen können. Es wirkt, indem es die Aktivierung von Plasminogen stimuliert. Plasminogen ist eine natürlich vorkommende Substanz, die von den Endothel-Zellen als Reaktion auf Schädigungen der Gefäßwände ausgeschieden wird. Diese Schädigungen führen zunächst zur Gerinnselbildung. Wenn Tenecteplase Plasminogen aktiviert, wandelt es sich in Plasmin um, das wiederum das Fibrinnetz zerschneidet, welches das Gerinnsel zusammenhält. So wird das Blutgerinnsel aufgelöst und das Blut kann wieder zum Herzen fließen.

ASSENT-4 PCI
An der Studie ASSENT-4-PCI (Assessment of the Safety and Efficacy of a New Treatment Strategy for Acute Myocardial Infarction) nehmen circa 4.000 Patienten teil, für die eine PCI (percutaneous coronary intervention = primäre Angioplastie) als Therapie vorgesehen ist, allerdings nur in den Fällen, in denen die erwartete Ankunft des Patienten im Herzkatheterlabor mehr als sechzig Minuten und weniger als drei Stunden beträgt nach Randomisierung; entweder weil das Krankenhaus nicht in der Lage ist, sofort sein PCI-Team zu mobilisieren und direkten Zugang zum Herzkatheterlabor zu ermöglichen, oder weil der Patient verlegt werden muss, damit eine PCI durchgeführt werden kann.

TROICA (Thrombolysis in Cardiac Arrest)
Werden bei Patienten zu Hause oder in der Öffentlichkeit Anzeichen eines Herzstillstands beobachtet und besteht der Verdacht auf eine Herz-/Kreislauferkrankung als Ursache, erfolgt die Diagnose und Erstbehandlung durch den Notarzt. Es werden zunächst alle standardmäßigen Reanimationsmaßnahmen durchgeführt, einschließlich Defibrillation und Gabe herzwirksamer Medikamente sowie weiterer unterstützender Maßnahmen. Sofort nach der intravenösen Injektion des Blutdruck steigernden Mittels und unter der Voraussetzung, dass keine Kontraindikationen bestehen, werden diese Patienten mit Tenecteplase behandelt.

Referenzen

1) Wallentin L, Goldstein P, Armstrong P, et al. Efficacy and safety of tenecteplase in combination with the low-molecular-weight heparin enoxaparin or unfractionated heparin in the prehospital setting. Circulation 2003;108:r1-r8.

Quelle: Boehringer Ingelheim Fachpresse, Nr. 17/2004 vom 10. Mai 2004